Interview mit Arno Pillwein
Was ist Anthroposophie für dich?
Anthroposophie ist für mich nichts Exotisches, als was sie manchmal hingestellt wird, sondern etwas sehr Natürliches, was im Grunde jeder selbst entdecken kann. Damit kommen wir zu einem aus der eigenen Erfahrung nachvollziehbaren Weltbild, welches uns, anders als alle Urknalltheorien, Sinn gibt und uns auf unserem Lebensweg unterstützt. Steiner zu lesen ist für mich immer sehr anregend. Schon die Art seiner Sprache, die Gedankenbewegung, die Dynamik wirkt beruhigend und ordnend auf mich. Und die Übungen zum Schulungsweg erst recht!

Sind anthroposophische Inhalte wirklich so leicht selbst zu entdecken?
Sehr vieles: JA! Dafür ist allerdings notwendig, dass wir entschieden über das ewige Über-die-Dinge-Reden oder Steiner-Zitieren hinaus gehen und Situationen schaffen, wo in einem geschützten Rahmen die im Inneren ablaufenden Prozesse bis auf den Grund ausgelotet und erforscht werden können. DA beginnt erst die praktische Geisteswissenschaft.
Steiners Anliegen war ja immer, die Menschen in Bewegung zu bringen und sie zur eigenen Forschung anzuregen. Die "Nachbeter" waren ihm ein Greuel!

Und so stoßen wir automatisch auf anthroposophische Inhalte?
Im Prinzip: JA! 'Anthroposophie' heißt ja nichts anderes als 'Weisheit vom Menschen', und die hat im Grunde jeder in sich, wenn er nur achtsam genug da hinein lauscht. Es ist mir nicht vordergründig, die anthroposophischen Inhalte irgendwie beweisen zu wollen. Das muss man ständig selbst neu entdecken. Der Anfang dahin ist, mit genau dem in direkten Kontakt zu kommen, was jetzt ist, was JETZT wirklich wirkt. - Und dazu muss man schon bereit sein, s
eine vorgefassten Meinungen, sogar die vermeintlich so
sicheren Erfahrungen aus der Vergangenheit, wenigstens für eine Weile loszulassen.

Was ist dir sonst noch wichtig?

In anthroposophischen Kreisen wird sehr viel Wert auf eine differenzierte Sinnesschulung gelegt, nur bleibt man meist bei sehr zarten Dingen stehen. Die vitalen Seiten, also bereits all das, was unter dem Zwerchfell liegt, wird weitgehend ausgeklammert. Dabei sind es gerade unser Mann- und Frausein und all die damit verbundenen Triebstrukturen, die uns doch recht eminent prägen und das soziale Leben machtvoll unterschwellig mitbestimmen.

Wie kommst du da heran?
Um diesen Bereichen nicht nur theoretisch gerecht zu werden, beziehen wir ganz bewusst ausgewählte tantrische Elemente in unsere Arbeit mit ein. So paradox das auch klingen mag: Erst wenn wir uns der Quelle unseres Mann- und Frauseins nähern und lernen, diese Potentiale positiv anzunehmen und wagen, sie auch zu leben, beginnen wir, da hindurch zu sehen und unabhängiger davon zu werden. Denn wenn wir von vorn herein nur darüber hinwegsehen, tun wir so, als ob es die Geschlechtlichkeit gar nicht gäbe. Damit erlauben wir, uns um so unbewusster davon bestimmen zu lassen. Wenn wir aber die Funktionen und Qualitäten unseres Lebens-schiffes kennen, werden wir es umso souveräner steuern und sinnvoll damit 'fahren' können. Das Menschsein kann beginnen.

Und neuerdings wird mir die Sichtweise David Deidas immer mehr zu einer ungemein anregenden Offenbarung. Der anthroposohische Hintergrund lässt mich daran weitere Dimensionen entdecken, die wohl selbst Deida so noch nicht entdeckt haben dürfte!
Was ist Tantra für dich?
Praktische Geisteswissenschaft ! - Am Anfang steht im Tantra ein großes und rückhaltloses JA zu allem, was und wie auch immer es ist. - Dann wird gewagt, damit zu sein, es mitfühlend zu 'befragen'. Um dies zu erreichen, brauchen wir tiefste Entspannung. Ohne dem erwähnten Loslassen würden unsere Meinungen und Gewohnheiten alles, was außerhalb unserer Komfortzone liegt, - auch in uns selbst -, alles, 'was ist', erst gar nicht erlauben wahrzunehmen. In dieser Entspannung brauchen wir aber eine höchst aktive Präsenz! So werden die eigenen Gefühle (und Gedanken, Meinungen, Ängste, Lüste etc.) zu regelrechten Sinnesorganen, die zugleich etwas über mich selbst wie auch über die Welt aussagen.
Mein ganzes So-Sein wird damit zum Sinnesorgan, es wird transparent. Es entsteht eine Art 'Selbstlosigkeit', welche die Körperlichkeit mit einbezieht. Das So-Sein (Ego), der Körper und all seine Triebe müssen nicht länger mit asketischen Verrenkungen weggeleugnet oder unterdrückt werden. Im Prozess des Damit-Seins treten Veränderungen wie von selbst ein, auf eine natürliche Weise, - wenn es an der Zeit ist.


Worin besteht für dich
der 'Sinn der Sinnlichkeit'?

Dass wir all unsere Sinne, einschließlich unserer Sinnlichkeit, 'menschlich' leben, d. h. nicht nur ausleben wie die Tiere, sondern erleben, sie somit zur Wesensbegegnung und Erkenntnis nützen. Damit nähern wir uns ganz unmittelbar dem 'Sinn des Lebens'.

Dein Leitsatz?
Letztlich zählt nur, was wir selbst in eigener Erfahrung erlebt und erkannt haben. Dies um so mehr es aus einer liebevollen Grundhaltung heraus geschieht.
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